Proporz oder Majorz?
In der Stadt Bern werden der Gemeinderat (5-köpfige Stadtregierung, bzw. Exekutive) UND der Stadtrat (80-köpfiges Parlament, bzw. Legislative) im Proporzverfahren gewählt. Das heisst: Zuerst wird gezählt, wie viele Stimmen die einzelnen Listen bekommen haben, dann werden die Sitze im Verhältnis (Proporz) auf die Listen verteilt.
Erst am Schluss wird geschaut, welche Personen auf den einzelnen Listen am meisten Stimmen erhalten haben und die Sitze erhalten, die der entsprechenden Liste zustehen.
Wichtiges Detail: Listenverbindungen sind nur bei den Stadtratswahlen zugelassen.
Kontrollfrage: Ist es möglich, dass jemand auf einer Liste Rang 1 einnimmt und doch keinen Sitz gewinnt? – Ja. Dann nämlich, wenn seine Liste insgesamt so wenige Stimmen erhält, dass es nicht für einen Sitz reicht.
Kumulieren und panaschieren?
Wählen kann ein kreativer Vorgang sein. Grundsätzlich kann man nicht mehr Namen aufschreiben als es Zeilen hat, sonst ist fast alles erlaubt (siehe: Anfängerfehler).
Dabei gibt es zwei wichtige Gestaltungsmöglichkeiten: Man kann Namen erstens doppelt aufschreiben, bzw. kumulieren (wenn eine vorgedruckte Liste voll ist, muss man dafür einen anderen Name streichen) und man kann Namen von anderen Listen «importieren», bzw. panaschieren.
Selbstverständlich kann man die listenfremden Namen auf der eigenen Liste auch kumulieren.
Kontrollfrage: Kann man auf einer vorgedruckten Liste einen Namen streichen und den gleichen Namen an anderer Stelle von Hand wieder einfügen? – Ja. Die Leute im Abstimmungsausschuss werden sich allerdings ihre Sache dabei denken.
Was wollen die Parteien?
Die Parteien empfehlen den Wählerinnen und Wählern meistens, ihre vorgedruckte Liste unverändert einzuwerfen. Die Absicht dahinter: Auf diese Weise gehen erstens alle Linien an die Partei, was für sie das wichtigste ist (da ja zuerst die Linien als Parteistimmen zählen).
Zweitens geraten so keine fremden Kandidaten auf die Liste (jeder parteifremde Name bedeutet eine Stimme weniger für die Partei, noch schlimmer sind kumulierte Namen von Fremden – unbedenklicher sind Namen, die von verbundenen Listen stammen).
Und drittens werden Gewichtungen der Partei übernommen – zum Beispiel, wenn Spitzenkandidaten vorkumuliert sind.
Kontrollfrage: Muss man eine Parteiliste unverändert einwerfen. – Nein, das ist bloss ein frommer Wunsch der Partei.
Wann gibt es einen Sitz?
Im Proporzverfahren, wie es in der Stadt Bern gilt, hat eine Liste dann einen Sitz auf sicher, wenn sie eine bestimmte Prozentzahl der abgegebenen Stimmen erreicht. Dabei kommt es auf die Anzahl der zu vergebenden Sitze an.
Die entscheidende Prozentzahl wird so errechnet: 100 geteilt durch die um eins vermehrte Zahl der zu vergebenden Sitze.
Für den Gemeinderat mit 5 Sitzen sieht die Formel so aus: 100 geteilt durch (5+1) = 16,67. Erreicht eine Partei mindestens diesen Wert oder das Zwei-, Drei- oder Vierfache davon, hat sie einen, zwei, drei oder vier Sitze auf sicher. Im 80-köpfigen Stadtrat braucht es 1,235 Prozent der Stimmen für einen Sitz (100 durch 81).
Kontrollfrage: Können in einem fünfköpfigen Gremium sechs Sitze vergeben werden? Nein. Auch theoretisch nicht.
Listenverbindungen
Zwei oder mehr Parteien können ihre Listen verbinden. Bei der Sitzverteilung werden die verbundenen Listen in einer ersten Phase als «ein Organismus» betrachtet. Nachdem klar ist, wie viele Sitze dieser Organismus erhält, werden diese Sitze intern verteilt.
Der Vorteil von Listenverbindungen: Es gehen weniger überschüssige Stimmen verloren. Beispiel: Partei A und B haben Stimmen erhalten für je anderthalb Sitze. Ohne Listenverbindung kommen sie auf je einen Sitz. Mit einer Listenverbindung holen sie drei Sitze (auch die beiden halben). Welche Partei den dritten Sitz erhält, wird in einer zweiten Verteilung entschieden.
Meistens verbinden Parteien ihre Listen, die sich ohnehin schon nahe stehen – so wie zum Beispiel SVP und JSVP oder SP und Grüne.
Kontrollfrage: Dürfen zum Beispiel die FDP und die EDU ihre Listen verbinden? Ja. Allerdings ist nicht alles, was erlaubt ist, auch logisch.
Unterlistenverbindungen
Diese funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie Listenverbindungen. Es geht einfach eine Ebene weiter. Beispiel: SVP und JSVP können eine Unterlistenverbindung (SVP + JSVP) und dann noch eine Listenverbindung eingehen: ((SVP + JSVP) + (FDP) + (CVP)).
Spezialfall Listenverbindung in Bern
Wichtiger Punkt: Bei den Berner Stadtratswahlen (80 Sitze) sind Listenverbindungen erlaubt und werden auch häufig gemacht. Bei den Gemeinderatswahlen (5 Sitze) hingegen nicht!
Das ist der tiefere Grund dafür, warum sich Kandidierende aus verschiedenen Parteien auf einzelne Listen drängen. Wären Listenverbindungen erlaubt, könnten zum Beispiel die Kandidaten von CVP, BDP, GLP und EVP auf eigenen Listen antreten und bräuchten keine Einheitsliste zu bilden (wobei das bei nur fünf Kandidaten etwas unübersichtlich würde).
Der Zweck der Einheitslisten (Mitte-Liste, Rot-Grün-Mitte, Bürgerliches Bündnis) ist somit der, überschüssigen Stimmen eine Wirkung zu geben, die sonst einfach verpuffen würden.
Kontrollfrage: Kann man auf Listen, die nicht verbunden sind, kumulieren? – Ja, sicher.